Zuhause im Anderen
In ein anderes Land zu ziehen, bedeutet viel mehr als eine alte und eine neue Heimat. Zeitweise oder zuerst läuft es womöglich gar nicht gut, und ich fühle mich nirgendwo mehr aufgehoben und daheim. Ich habe Heimweh nach dem alten Zuhause und fühle mich fremd am neuen Ort.
Durch das Sehnen nach dem Vergangenen wird alles nur noch schlimmer. Ich kann das Hier und Jetzt nicht mehr positiv sehen, vergleiche es andauernd mit der alten Welt, die besser erscheint.
Ich habe das Gefühl zwischen zwei Stühlen zu sitzen, fühle mich unverstanden. Das Verhalten der Menschen um mich herum ist mir fremd.
Wenn ich in der alten Heimat bin, geht dieses Gefühl nicht weg. Es breitet sich aus, egal wo ich bin. Jetzt wird es wirklich schlimm. Nirgends komme ich klar. Die Vertrauten von früher sind anders, verstehen meine Sprache nicht mehr. Ich verstehe sie nicht mehr, bin anders.
Durch meinen Umzug, durch meine Reisen zwischen den Kulturen, habe ich mich verändert. Passe ich jetzt nirgendwo mehr hin? Ich kann mich weder mit meiner ursprünglichen noch mit der neuen Kultur identifizieren.
Die Provinz war nicht mehr mit mir zu vereinbaren, da stach ich raus. Sehr bald merkte ich dieses Anderssein als das Dorf. Ich fand mich hipp und die nicht. Das war nicht arrogant, ich war bloß anders, mein Leben war jetzt anders. Obwohl ich diese Provinz immer noch in meinem Inneren als Heimat empfand, hatte ich eine zweite Heimat dazubekommen. Sie drängte sich vor mein erstes Zuhause, meinen Ursprung. Dagegen konnte ich nichts tun. Ich war jetzt anders hier und anders dort.
Ich fühlte mich römisch, weil ich denselben Smog einatmete, keine blaue Hosen mehr mit schwarzen Schuhen kombinierte und niemals Spaghetti Carbonara mit Sahne kochte.
Und doch fühlte ich mich anders, denn ich redete nicht wie die Römer. Auch wenn ich jetzt alles verstand und mitredete, traute ich mich den Absprung nicht, vollends einzutauchen in die Tiefe dieses Dialekts.
Lag es daran, dass ich schon eine Mundart hatte? Die verwahrte ich sorgfältig in einer Schublade. Dort überdauerte sie die Jahre und verstaubte kein bisschen. Ich fühlte mich anders, obwohl ich von Herzen gerne eine sprach-echte Römerin gewesen wäre.
Die wurde ich schließlich, als ich erneut umzog. War das Anderssein meine Heimat geworden? Das erfuhr ich erst in München. Es gab da einen Spruch am Hauptbahnhof, den liebte ich. In München geboren, in der Welt zuhause. Das war doch ich! Schmerzlich offenbarte sich mir, dass ich mich auch in dieser Stadt anders fühlte – in meiner Traumstadt, in der ich seit Jahren leben wollte, weil ich dachte, hierher zu gehören – schließlich bin ich hier geboren.
Ich war traurig. Und fuhr hin und her, mit dem Nachtzug zwischen den Welten. Einmal Roma – Termini – one way. Und retour nach Monaco di Baviera – one way. Die Schlafwagenpritsche und das rhythmische Schnaufen des Zuges den Brenner hoch und jubelnd ratternd auf der anderen Seite hinab wurden zum Symbol für den Zwischenraum, für das Wechseln der Welten. Eine zarte Zerrissenheit verbirgt sich in vielen „Zuhausen“. Zartbitter schmelzend – wenn alles schlecht läuft, erlebt der Zerrissene, wie Heimat zu Fragmenten zersplittert.
Die Lösung lag woanders: etwas Neues, ein Drittes zu erschaffen. Das gelingt dem am besten, der Gleichgesinnte trifft oder Menschen mit ähnlichen Erfahrungen.
Nirgends und überall dazugehören
Wann und wo ich erkannte, dass ich diese Fragmente überall mitnehmen, überall daheim sein konnte, ist mir entflogen. Irgendwann wusste ich, dass alles Emotion ist. Das waren meine Gefühle! Einmal loslassen bitte – und los geht die Achterbahn im schwerelosen Raum. Jede dockt an, wo sie will.
Dieser tröstende Geistesblitz bescherte mir die Möglichkeit unzähliger Heimatgefühle, an traumhaften Orten in Europa, an denen ich mir nie ausgemalt hätte, einmal zu wohnen: nach Rom, Toskana, München, Lissabon. Dann zog die Muttersprache mich nach Bayern und ins benachbarte Tirol. Willkommen in der Alpenrepublik, die Bahntrasse hinauf zum Brenner wandernd – Kufstein, Wörgl, Innsbruck. Von hier aus ist es eine halbstündige Fahrt, um italienische Pizza zu essen und einen Espresso an der Bar zu kippen. Ich frage mich wirklich, ob ich eines Tages in Südtirol lande. Da bin ich Zuhause – ohne je dort gewohnt zu haben. Denn die Menschen sprechen in dieser deutsch-italienischen Schnittmenge so, wie wir es an der Deutschen Schule Rom taten: drei Deka Deutschhack an italienischem Satzmelodie Sugo – Wortkreationen, die nur versteht, wer beide Sprachen spricht.
to be continued …
Autorin: Verena Wagner
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