Kann man mehr als eine Heimat haben (Part III – ENDE)

Photo by Lea Böhm on Unsplash

Vertraut werden heißt Heimat finden

So fällt es mir heute leicht eine neue Heimat zu gründen. Meine Zuhause reihen sich wie stolze Edelsteine auf einer Kette. Sie bilden die Landkarte meines Herzens, bilden das Leben als große Reise ab. Eine Weile dauert es, bis Neuland vertraut wird – ein jedes Mal von Neuem.

So wie der kleine Prinz nicht von Anfang an mit dem Fuchs vertraut ist. Er muss ihn sich erst zähmen. Zähmen heißt, Freund werden, den anderen kennen lernen. Jeden Tag rutscht der kleine Prinz einen Zentimeter an den Fuchs heran. Sie nähern sich an.

Kennenlernen verwandelt fremdes Land zur neuen Herzensangelegenheit. Sich zuhause fühlen ist ein wunderbares Gefühl – auf alle Orte anwendbar, auf die ich will. Wenn es mir gut geht an einem Ort, kann ich mich öffnen, Heimat spüren. Zuhause fühlen heißt Wurzeln schlagen, Freunde finden, Beziehungen pflegen, Straßen kennen, Stadtpläne lieben.

Zuhause heißt, eine Beziehung aufbauen zu Menschen und Räumen.

Zuerst verstand ich die Leute in Rom nicht und sie verstanden mich nicht. Es war eine große unüberbrückbare Leere zwischen uns. Wir waren nicht vertraut.

Doch ich konnte eine Brücke bauen, indem ich ihre Sprache lernte. Jetzt konnte ich mich mit ihnen unterhalten. Ich „zähmte“ die fremde Sprache, wie der kleine Prinz den Fuchs zähmte. Ich lernte vom Mann im Kiosk, ich lernte von der Frau im Lebensmittelladen. Ich lernte von ihren Geschichten und Witzen, sah Fernsehen. Ich imitierte schicke Damen, die übers Kopfsteinpflaster klackerten und lamentierte wie die Alten an der Haltestelle vom orangenen Stadtbus, weil der zwei Stunden zu spät kam.

Plötzlich sieht man die alte Heimat aus der Distanz, mit den Augen der neuen Kultur. Man bekommt Abstand zum Ursprungsland, betrachtet es emotionsloser, distanzierter.

Entsteht mit dem Reisen und dem Kennenlernen fremder Kulturen ein entspanntes Verhältnis zum Begriff Heimat? Es ist eine neue Gelassenheit diesem bis heute in Deutschland oft negativ eingespannten Wort gegenüber spürbar: Deutsche Hotels, die mit der Auszeit in der Heimat werben oder türkisch-deutsche Filmemacher, die zum Stichwort Haymat drehen und zu Gedanken und Gefühlen mit dem Hashtag #haymat aufrufen. Menschen mit Migrationshintergrund in der Familie, oft schon in dritter oder vierter Generation in Deutschland daheim, leben gerne hier. Sie betrachten Deutschland als Haymat. Das stimmt mich froh.

Jeder braucht Heimatsplitter, soll und darf sich Zuhause und Daheim fühlen an seinem Flecken Erde. Was wäre die Welt ohne Heimatgefühle. Jeder hat ein Recht auf ein Zuhause, wo es einen auch hin weht.

Mit diesen Emotionen für Heimat, Orte, Ursprungsländer eng verknüpft entsteht Identität.

Dabei handelt es sich um ein Konstrukt, eine Vorstellung, die sich an Symbolen festmacht. Menschen identifizieren sich mit ihrer Heimat über Bräuche und Sitten, über die Traditionen ihrer Region. Sie verorten ihre Identität in der Erde, in der sie geboren sind. Durch ihre Besonderheiten als Volk, als Stamm, als Nation, als Bürger eines Landes, grenzen sie sich von anderen ab. So funktioniert unsere globalisierte Welt aber nicht.  Menschen verschiedener Kulturkreise interagieren miteinander, leben zusammen in ihrer Verschiedenheit. Menschen ziehen in fremde Städte und erleben – auch im eigenen Land – im Kleinen, was Interkulturalität bedeutet.

Diese Vielfalt funktioniert, wenn sich die vielen Konstruktionen von Identität gegenseitig gelten lassen und sich inspirieren, beeinflussen. So ist ein Plural von Heimaten nicht nur möglich, sondern äußerst befruchtend.

Autorin: Verena Wagner

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